Archiv der Kategorie: Politik

Lechts und Rinks – Brücken verbinden…

Konservative Kulturkritik und eine neue Mythologie, die eine Hingabe an die Irrationalität abfeiert, die Lust an Verschwörungstheorien, an einem Vitalismus und voluntaristischen Dezisionismus der uns spätestens seit der Ukraine wieder fest im Griff der Krise hat, ist schon so alt, das es eigentlich schmerzt. Rechte, die sich als Sozialisten gebärden und den Unterschied zwischen Rechts und Links nicht mehr haben wollen, hipieeskes Friedensgebaren, die Sehnsucht nach Gemeinschaft und Selbstaufgabe gepaart mit Kapitalismus- und Geldkritik, eine absichtliche Unterkomplexität der Diagnose – mit Verachtung für alles Analytische und jede Form der Intellektualität, eine generelle Politikmüdigkeit die in einem Antiparlamentarismus mündet – kennt man alles aus den Zeiten der Weimarer Republik – und woher? Haben wir damals genau genug Spengler, Klages… die ganzen Konsorten, die konservativen „Denker“unter den Deutschen Akademikern gelesen, sind wir uns im Klaren woher diese Weltuntergangstimmung wirklich kommt?
Dass die Rechten Links anzuknüpfen suchen und die Linke auf einmal eine innerparteiische Linie des „internationalen“ Antifaschismus wiederentdeckt, die ausgerechnet darin mündet, den Sympathien für Russland und seinem verkommenen politischen System unter Putin Ausdruck zu verleihen, der seinerseits gerade wieder am Erbe des Stalinismus etwas Positives und angeblich Verleumdetes wiederherzubasteln sucht, grenzt dabei an eine Farce. Wäre das nicht die Chance gewesen, endlich einmal klarzumachen, was ein linkes Projekt, transnational, heutzutage sein kann, nach der Hegemonie und dem globalen Siegeszug neoliberaler Ideologien? Aber nein, man gefällt sich darin, im schlimmsten Falle blinde Blankovollmachten und im Besten verhaltene Solidarität mit Russland gegen die bösen Medien zu demonstrieren. Dabei bastelt man sich wie die Ultrarechten auch, die immer von einer linken Meinungshoheit in den Medien faseln, diesmal eine angebliche Meinungshoheit der bedingungslosen Ukraine-Unterstützer zurecht, die ein Russland-Bashing betreiben würden, die ach-so-schlimmen Nazis der Maidan-Bewegung in Kiew verharmlosend. Das diese Meinungshoheit in den etablierte Medien ein Phantom ist, welches durch russisches Propagandafernsehen befeuert wird, was sich wundert, dass „die westlichen Medien“ so etwas eben nicht senden und offensichtlich andere Standards vertreten, fällt den Linken, die es nicht lassen können, immer wenn von Kiew die Rede ist: „Swoboda“ zu sagen, nicht auf. Ja wir haben es verstanden, wir brauchen die angeblich wohlmeinenden Warnrufe aus eurer steinzeitkommunistischen Ecke nicht. Ja Swoboda ist eine rechte Partei, ja auch sie haben Ministerposten erhalten, das ändert aber nichts daran- dass es weder eine Putsch-Regierung ist, noch dass die Linke in diesen Statements immer wieder vergisst darauf hinzuweisen, mit welchen Kräften Putin zusammenarbeitet. Putins Ziel ist es, die europäische Union zu torpedieren, deshalb wird sich die Lage in der Ukraine nicht entschärfen. Er kann wenn die Temperatur zu niedrig ist, ein Interesse an den östlichen Gebieten durch militärisches Gebaren glaubhaft machen, oder eben wie er es letzte Woche getan hat, auf den Wunsch der Donbas Region, einen Anschluss an Russland herzustellen, nicht antworten und so auf seine eigenen Bemühungen zur Entspannung beizutragen verweisen. Putin ist voll handlungsfähig: Säbelrasseln oder weißes Hemd, deutsche Sprache und unschuldiger Blick, ihm liegen beide Rollen und er treibt damit die Europäische Union vor sich her- bei seinem Höllenritt auf dem Krisenkamm. Das einzige was ihm Schaden würde, wäre eine Entspannung der Lage in der Krise, oder ein wirklicher Anschluss an Russland, den er sich, genausowenig wie Europa, leisten kann.
Die Ukrainer des Maidan sind aufgestanden, gegen ihr korruptes Regime, dagegen, ein Spielball Russlands zu sein, für echte Demokratie und Souveränität – nicht dafür, Teil der EU zu werden! Das einzige was die Lage angesichts einer müden EU und eskalierenden Fracking-Amerikanern aktuell hergibt, an deren demokratischem Wesen nicht zu zweifeln sei und die Welt genesen solle – ist weiter Spielball Russlands zu sein. Das Spiel der russischen Taktik ist perfide: immer wieder gegen die europäische Austeritätspolitik am griechischen Horiziont geschmettert zu werden, bis die Sympathien einer verarmten Bevölkerung an Russland zurückprallen, wo sie jedoch kein Gehör finden werden. Ob die Ukraine diesem Belastungstest weiter standhalten kann, dem wohnen wir in Deutschland gerade in Echtzeit bei und die deutschen Linken belehren uns immer wieder über den kulturellen und ethnischen Unterschied der Ost- und Westukrainer… der ist nämlich so tief und echt, siehste doch, kannste dir doch ansehen…genauso wie die „Brückenfunktion“ Mensch!
Der einfache imaginäre Sachse:
Nein, wir sin nich für Interventionen, die Mehrheit der Bevölkerung ist dagegen, das ist doch eine schöne Lehre aus dem zweiten Weltkrieg: wir sind doch alle keine Nazis mehr, wir haben nichts mehr zu suchen da drüben. Hätte ja auch schon der Hitler wissen können von Napoleon. Russland ist zu gross, das kann man nicht machen. Deshalb verteidigen wir ja gerade Putin, der ist doch auch Antifaschist, Russland hat doch den Faschismus besiegt, hast du etwa keine Geschichte in der Schule gehabt, blöder pro-Ukrainischer Schreiberling? Ach, die Weimarer Republik, nein… was war da? Ach so… jene unübersichtliche Zeit, in der sowohl von links als auch rechts am schwachen Parlamentarismus und der Demokratie gerüttelt wurde – die wollten ja alle keinen Frieden diese Extremisten! Die haben ja auch die 19’er Revolution vergessen in der bundesdeutschen Schule heutzutage. Da hat die deutsche Gründlichkeit gefehlt, dass da mal jemand auf den Tisch klopft und schreit Ruhe jetzt! Genau… eigentlich wollen wir doch alle nur Ruhe und ein bisschen Frieden… vertragt euch! Das sollte dieses Weichei von Diplomat Steinmeier mal machen… mal richtig auf den Tisch klopfen! Nein, damals in der Weimarer Republik, da hatten wir noch keine Erfahrung mit Demokratie, da war das ne „junge Republik“…sowas kommt am Anfang immer vor, jeder übt mal! Na ein Glück dass das jetzt vorbei ist und wir alle ordentliche Demokraten- dieses Irrenhaus, diese Quatschebude… heute herrscht Ruhe und Ordnung, das werden auch die Ukrainer bald lernen und auch der Putin. Immerhin ist der ja ´nen ordentlicher Mann- der kann ja deutsch…Mensch dann guck doch mal im Internet…damals als der Deutschland besucht hat…jaha! Der hat in Dresden gewohnt und is am Jägerpark mitm Trabbi ums Eck gekurvt- hat seine Ludmilla abgeholt zum Blini-Essen ins Eiskaffee… der is n´ ganz normaler Mensch! Der is nich verrückt, der spielt sogar Schach…besser als Kasparov. Naja die Russen halt, so sind´se. Man muss das verstehen, die waren schon immer n ‘bissl anders- das lernen die noch.

Jaja, die Unterschiede und die Brücken…

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Für Yewgenija (beim Lesen von Meister und Margarita)

Stell dir vor alles ist einfach. Auf der Straße treffen sich Menschen und ein Verstehen ist möglich. Stell dir vor, die ganze Akademisierung, die Bewegungsforschung, all das kluge Reden und erklären warum Proteste immer unterdrückt werden und nie zum Erfolg führen, haben keinen Sinn.

Stell dir vor es ist möglich einen Staatsapparat neu zu erfinden, ein anderes Betriebssystem aufzuspielen, wie beim Computer. Stell dir vor es ist möglich, Freiheit und Demokratie zu sagen, ohne dabei an die Verfälschungen eines Wirtschaftsliberalismus denken zu müssen. Stell dir vor es ist wieder möglich, Freiheit und Demokratie im idealistischen Sinne zu sagen, ohne dabei an die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts und den ad absurdum geführten Glauben der Menschen an diesen zu denken. Stell dir vor, es gibt „das Böse“ wirklich. Wenn Putin, ein Pragmatiker und Theoretiker des Selbst- und Machterhalts, ein Emblem des reinen und skrupellosen Egoismus ist, der bereit ist bis zum Äußersten zu gehen, wirklich der ist, als den man ihn immer in Verdacht hatte, ein Irrer, reich wie die Kirche aber arm an Glauben. Wenn dem so ist, dann gibt es auch „das Gute“- einen Menschen der nicht nur den Opportunismus, sondern Ideale kennt und verwirklicht, der Demokratie und Freiheit ernst meint.

Stell dir vor, die größte Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts, war wirklich wie Putin sagte der Mauerfall und der Untergang der Sowjetunion. Stell dir vor das Katastrophale daran war der Abschied von den Utopien, die Aushöhlung der Identität in jeglichem Sinne- ein Triumph des schizophrenen Pragmatismus im Politischen, der sich verleugnet, weil er seinen Scheffel unter den Sachzwang des Ökonomischen stellt, das Primat des politischen verleugnet und behauptet, eine größere Einheit als das rational egoistische Subjekt, das kleinste Atom jeder Gruppe, sei nicht möglich. Stell dir vor es ist möglich wieder Wir zu sagen, ohne dabei sich selbst zu meinen. Stell dir vor, die Menschen in der Ukraine kämpfen einen Krieg ohne Waffen. Stell dir vor, Soldaten singen Lieder, anstatt zu töten. (X) Stell dir vor, es gibt etwas, das groß genug ist, dafür zu sterben- sich selbst zu verleugnen – passiv zu bleiben – zu schweigen und doch nein zu sagen. Nein zur Lüge, zum Bösen, zur Macht in ihrer schlimmsten, in ihrer terroristischsten Form. Die Furcht davor ist echt, aus Angst reden deshalb so viele wild durcheinander. Niemand kann schweigen, auch die Kranken, die Geschundenen, die Gutmeinenden, die Verirrten, die boshaften Lügner, aber auch die Besserwisser, die Schlaumeier, die Möchtegerns und die, die sowieso nie ihren Mund halten konnten. Dieser vielstimmige Chor der Handelnden, sie alle fürchten sich davor, diese Prüfung könnte auch an sie gestellt werden. Und bei alledem Schweigen die Geprüften in ihrer redseligsten Form.

Stell dir vor die aktive, gemeinsame Stille besiegt das Geschrei und Getöse. Stell dir vor, das Wort, der Begriff, die Idee gebiert sich aus dem Nichts, wie zu Anbeginn der Zeiten, als der erste Mensch tanzte und den Gegensatz von Ihm und dem Tier sah, dass er jagte und verkörperte, wie ich dir einst erzählte. Stell dir vor alles ergibt einen Sinn.

Danke an die aufrichtigen Menschen in der Ukraine, ich glaube Europa kann viel von ihnen lernen…

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Das Elend deutscher Internetkommentatoren und Trolle

Die Frage von Sanktionen aus dem letzten Post hat sich nun erledigt. Die Fakten die Putin schafft, sind ohne Interventionen nicht mehr rückgängig zu machen. Europa hat den Willen nicht, ganz davon abgesehen, dass es auch keine kluge Entscheidung wäre einen Krieg in der Ukraine, der das Land verwüsten würde, heraufzubeschwören.
Jedoch sind die Argumente, die in Deutschland vorgetragen werden dieses Begriffs so unwürdig, dass ich sie bewerten muss.

Da kriechen sie nun alle aus ihren Löchern und reproduzieren besserwisserisch russische Propaganda, die sie auch noch als Argumente verstanden wissen wollen. Jeder Artikel der den Völkerrechtsverstoss Russlands anprangert, wird als Unterstützung faschistischer Gruppen in der Ukraine gelesen. Die Bezeichnung „Putschisten“ setzt langsam durch und auch Anonymous schreit einzig und allein herum, dass in der Ukraine Faschisten und europäische Interessen am Werke seien.
Kein Wort von den vielen „Kommentatoren“ zu Russland und davon, dass Fotos auf der Krim aufgetaucht sind, in denen Hakenkreuze auf Synagogen geschmiert werden- auf dem Maidan in Kiew hingegen wurden keine antisemitischen Reden geschwungen- keine Hakenkreuze gesichtet, die unkommentiert (und zwar kritisch von den Demonstranten) geblieben wären. Kein Wort davon, dass es auch in Russland Proteste gegen Putin gibt, die mit harter Hand von der Polizei unterdrückt werden. Dass ist die „demokratische Kultur„, wie sie in Russland vorherrscht, eine Entwicklung nicht erst der letzten Jahre ist. Kein Wort davon, dass in Russland ein Marionettenpräsident eingesetzt wurde, damit Putin wieder kandidieren konnte. Kein Wort davon, dass es harte Regeln unter Putin gibt, die Demonstrationen der Opposition praktisch unmöglich machen. Aber viele Worte, und immer wieder dieselben, dass es in der Ukraine einen „rechten Sektor“ gibt.

Wo bitte gibt’s den nicht? Wenn Morgen in Deutschland eine ernsthafte soziale Bewegung entstünde, wäre davon auszugehen, dass nationalistische Kräfte (AfD, NPD) mit auf dem Plan wären. Da sieht es in der Ukraine nicht anders aus, als in anderen Ländern. Ein Unterschied ist, dass ein großer Teil der Bevölkerung im Osten direkt von russischer Propaganda und dem Staatsfernsehen informationell abhängig ist. Und nein, die Wahrheit liegt auch nicht irgendwo dazwischen, wenn eine Seite immer wieder Fakten klarstellt und die andere Seite, dauernd Weltsichten und Meinungen erfindet. Und dass es auf der Krim so friedlich bleibt, scheint ja Russland nun mal überhaupt nicht in den Plan zu passen. Aber ja, das böse böse Sprachengesetz… mit dem die arme russisch sprechende Minderheit (nein, damit es richtige Russen sind, bräuchten sie erst einmal russische Pässe!) unterdrückt werden soll- weil Ukrainisch ja als eine von anderen Amtssprachen da eingeführt werden soll. Das rechtfertigt natürlich den Einsatz von bewaffneten Soldaten, ohne Hoheitsabzeichen (ein sehr merkwürdiger Umstand, der eigentlich gegen jede Konvention spricht und den man gar nicht weiter kommentieren müßte).
Und im all das wird in Kauf genommen, weil man Europa nur als dunklen Handlanger des Kapitalismus verstanden wissen will. Es ist geradezu widersinnig, was diese verblendeten Anti-Amerikanisten mit ihrem Yankee-go-home-Putinismus befördern wollen. Und der Totalitarismus hatte ja in Russland und im Sonderfall der Ukraine so gar keine Geschichte…(http://de.wikipedia.org/wiki/Holodomor). Das die Ukraine einem russischen Imperialismus und Kolonialismus unterworfen war, ähnlich wie die lateinamerikanischen Länder unter der Monroe Doktrin, keine Rede davon. Dass der ukrainische Nationalismus ein integrativer ist und kein essentialistisch ausschließender, wie der russische, keine Rede davon.
Es macht mich traurig und wütend, diese Kommentare unter jedem Artikel der etablierten deutschen Presselandschaft zu lesen. Immer wieder das Argument, hier würden Medien kontrolliert und gleichgeschalten und die deutsche Presselandschaft sei von Nato-Kriegstreibern dominiert. Wenn man eines am zögerlichen Verhalten der Europäer sehen kann, dann doch wohl, dass es gerade keinen großen Masterplan gibt und ja, da muss ich dem amerikanischen Außenminister recht geben, dass was wir von Putin sehen ist ein politisches Verhalten aus dem neunzehnten Jahrhundert, nicht ohne zu wissen, dass dieses Statement auch aus einem Munde kommt, der Drohneneinsätze in Afghanistan und Pakistan rechtfertigt. Aber Widersprüche sind dazu da, sie auch auszuhalten und man ist nicht gezwungen, auf der einen oder der anderen Seite zu stehen- gerade nicht wenn man sich für eine Demokratie entscheidet. Diese ist nämlich ein Kommunikationsprozess und keine binäre Frage von wahr oder falsch… in der Logik militärischen Handelns der Unterscheidung von Freund und Feind, die dies auch noch zur Grundfrage des Politischen erhebt, hat dies freilich keinen Platz. Daran könnte Europa in der Tat zerbrechen, und dann ein Europa neu zu errichten um es mit mehr auszustatten, als nur den Sachzwängen einer Wirtschaftsunion… daran glauben diese Schreihälse doch nicht, die alles wiederholen was die Spatzen von den Dächern Moskaus pfeiffen- um es auch noch als „Geheimwissen“ und Argument billig allen hinterherzuwerfen, die sich den Foren nicht komplett verweigern, weil sie es nicht mehr ertragen…

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Warum zögern sie Frau Dr. Merkel?

Der Grund warum Merkel sich nicht für Sanktionen stark macht und mit ihrer Verzögerungs- und Hinhaltetaktik meint Erfolg zu haben, ist, dass sie  genau ein  Teil jener selbstreferentiellen Politikerkaste ist, die sie mit Janukowytsch dabei kritisieren würde. Das Problem dieser Kaste ist, dass sie sich keine wirklich politischen Fragen mehr stellt- sondern Spiegelfechterei betreibt, die  sie als alternativlos darstellt, dabei immer in der Gegenwart und den Forderungen  des Tages verharrt – ein Sich-Durchwursteln als große Kategorie.

In der Ukraine sehen wir, wie Menschen eine echte Demokratie und Mitbestimmung fordern, und nicht jenes Marionettentheater,  was von Russland kontrolliert wird, und dabei nichts anderes  ist als das, was Putin uns vorführt. Das war auch der Ausgangspunkt der Proteste im November und Dezember, nicht die reine Frage pro- oder kontra-EU.  Die  Frage nach echter  Demokratie  ist eine Frage der nächsten Generationen und vor allem in einem globalen Kontext zu stellen. Ich zweifle, ob Merkel mit ihrem Begriff einer „Marktkonformen Demokratie“ dafür die Richtige ist. Das Primat des Politischen zurückzugewinnen, traue ich ihr nicht zu. Und genauso ist das handeln der Bundesregierung in dieser Frage. Wir können eben nicht zuschauen, wie um die europäische Insel herum  die Demokratie immer weiter ausgehölt wird und sich allein auf Wahlen beschränkt.

Echte Demokratie fordert ein breites zivilgesellschaftliches Engagement in allen Bereichen- nicht das Abgeben der Stimme ins Ungewisse einer kurzen Zukunft, Legislaturperiode genannt, die jedes  weitere Einmischen politisch bewusster und engagierter Staatsbürger rigoros und vor allem polizeistaatlich ausschließt. Deshalb ist es problematisch, wenn wir in Deutschland und  in Frankfurt und Hamburg dabei zusehen, wie genehmigte Demonstrationen polizeitaktisch eskaliert werden. Sanktionen zu fordern bedeutet auch nicht, sich den neuen rechten Strömungen, die es in der Ukraine gibt an den Hals zu werfen und gemein mit ihren antidemokratischen Plänen zu machen.  Eine funktionierende Zivilgesellschaft und echte Mitbestimmung, die es braucht, um dieser Gefahr entschlossen und solidarisch entgegenzutreten entsteht jedenfalls nicht, wenn man als Demokrat mit den Händen in den Taschen  dabei zusieht, wie rückwärtsgewandte Strömungen in einem Kampf jeder gegen jeden. die Oberhand gewinnen um dann immer dem jeweilig neuen Gewinner zur Wahl zu gratulieren.

Sanktionen gegen ukrainische Politiker würden bedeuten, dass man sich auf Basis eine Grundlage darüber entscheiden muss, was echte und was falsche Demokratie ist. Da Merkel Entscheidungen umgeht, wie der Teufel das Weihwasser wird ihre nicht-Durchsetzung nur ein Beweis für ihre Haltung sein, an der Seite Obamas weiter Demokratie nur vorzutäuschen-  wie sie damit durch die nächsten 20 Jahre kommen will, bleibt dabei  ihr Geheimnis und auch das all derer die behaupten, man könne sich ohne Entscheidungen durchs Leben mogeln.

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Neulich im Bundestag…

Heute kam es in der Befragung des Außenministers und bei der Vorstellung eines Menschenrechtsberichtes des Auswärtigen Amtes  zu einer interessanten Situation. Der  Fragesteller Volker Beck von den Grünen wollte wissen, ob es denn Vorstellungen über den angemessenen Umgang mit den Sinti und Roma hier in Deutschland gäbe. Er hätte vor einigen Minuten die Bundeskanzlerin bei einer Festveranstaltung zur Einweihung eines Denkmals für die Sinti und Roma reden gehört und die Rede als sehr gut befunden, wogegen  er im Bericht Stellen vermisse, die die Absichtserklärungen der  Bundeskanzlerin mit Handlungen untermauern und vor allem die gelengentliche Ausweisungs- und Abschottungsrethorik des BMI zurückzunehmen wäre. Herr Westerwelle teilte dazu mit, die Auffassung zu teilen, dass die Bundeskanzlerin eine gute Rede gehalten habe. Das tue er sogar, ohne die Rede gehört zu haben, denn da gelte seine Zustimmung immer.  Er musste nun selbst erkennbar ein wenig lachen und seine Aussage über das Teilen der Auffassung, dass die  Rede eine schöne gewesen sei, wiederholen. Nebenbei auch etwas von Ironie nuscheln, was jedoch  sicher aus allen Protokollen gestrichen wird.

Was wollte er eigentlich damit sagen? Teilt er die Auffassung, Frau Merkel rede sehr schön deshalb, weil er eine Differenz von Reden und Handeln der Kanzlerin anzeigen will? Warum setzt er diese Betonung ausgerechnet an der Stelle, zu inhaltlichen Fragen ist er ja erst später gekommen. Er wollte also sehr deutlich machen, was er teilt (Frau Merkel redet schön) und dem was er nicht teilt. Außerdem wäre noch festzustellen, er teilt nur die „Auffassung“, also den Erkenntnisakt selbst, den Inhalt nicht. Er teilt also das Gefühl  mit anderen, oder auch den durch Begriffe vermittelten Eindruck der entsteht, eine Meinung. Ob Frau Merkel  nun wirklich schön redet  oder nicht, dass überlässt er ganz anspruchslos höheren Mächten. Er kommt eben nur zu Auffassungen, die er dann prima teilen kann. Auffassungen und Meinungen können falsch sein, sind aber leider das, was im Überfluss bei allen vorhanden ist und woran wirklich kein Mangel herrscht, den ein Minister beheben müsste. Um zu einem wahren Urteil über einen Sachverhalt zu gelangen wäre es  wichtig, den Raum der Auffassungen und Meinungen zu verlassen. Das tut er gerade nicht. Er bleibt im Beliebigen der Teilung irgendeiner Auffassung und Meinung. Er verbleibt nicht nur da, er betont es auch noch und genau dadurch entsteht jene Ironie als Doppelsinn, er könne ja deshalb so vage bleiben, weil die Kanzlerin eben nur die „schöne Rede“ anbiete. Darüber ist er selbst erstaunt,und scheint zu bemerken, dass aus der Verdopplung der Welt in belanglose Feststellungen eine Fehlerquelle entsteht, denn es kommt vor allem darauf an, die Kongruenz von Welt und Ideen oder Meinungen die darüber gehegt und geteilt werden, gelegentlich zu überprüfen. Es gehört ja zum politischen Tagesgeschäft, dass man anstatt auf die Probleme zu kommen, lieber die Redezeit mit Belanglosigkeiten und Floskeln füllt. Darin ist sicher auch die angesprochenen Kanzlerin eine Meisterin ihres Faches. Sie zeichnete sich schon immer aus darin, passiv Probleme sich entwickeln zu lassen und erst wenn der Handlungsdruck so hoch geworden scheint, dass es unvermeidlich ist, auf Probleme zu reagieren. Meist ohne Plan und Voraussicht, sondern rein reaktiv und getrieben, alternativlos.

Westerwelle ist hingegen eher jemand, der mit seinen falschen Vorstellungen und Lösungsansätzen auch noch hausieren geht, für kein Fettnäpfchen zu schade, stolpert er sich zum Ende seiner Legislatur, dabei immer bemüht sich von allem abzugrenzen, was er selbst für falsch hält, sich aber zu einem späteren Zeitpunkt zumeist eben doch als richtig erweist. Heute jedenfalls ist er mit seiner Abgrenzungssucht ein kleines Stück zu weit gegangen, im Bemühen darum, entstand jener Fall ins bodenlose des Doppelsinnes, der seine Wahrhaftigkeit und eigenen Standpunkt versteckt. Indem er sich in eine Floskel rettete, konnte man auch glauben, er distanziere sich vom eigenen Handeln, das zu verteidigen er angetreten war. Ironie ist ein schiefes Verhältnis zur Welt, eine Distanz zwischen Handeln und Denken und man mag glauben, sie gehöre zum politischen Alltag.  Allerdings gehört sie gerade dort nicht hin, denn sie kann, ja muss, immer ausgelegt werden. Damit ist sie eine offene Flanke für den politischen Gegner, der nur darauf wartet, sich an diese Stelle einzuschreiben. Ironie hätte deshalb schon im eigenverantwortlichen rhetorischenTagesgeschäft nichts verloren, auch wenn sie beim Zuschauer und Konsumenten hoch im Kurs steht: die Differenz von Denken und Handeln hat uns, in einer von sich selbst entfremdeten Gesellschaft, fest im Griff! Einen Politiker an der Ironie scheitern zu sehen, könnte etwas vergnügliches haben, ist allerdings auch ein Eingeständnis in die Handlungsunfähigkeit eines Politikers und damit eine Bedrohung, denn wer lebt schon gerne in einem System, welches sich blinden Mächten und Irrationalität (sei es auch persönlicher Unfähigkeit) anheimgibt und überlässt.

Dies angesichts eines Themas wie den Menschenrechten, das selbst Westerwelles eigenen Worten nach: „Zuständigkeiten übergreifendes Kernelement der Politik dieser Regierung“, ist.

Nun ist vom Sein zum Sollen ein weiter Weg und mir als als Kommentator fällt hierzu vor allem ein, dass es sich dabei auch wieder nur um einen Schein handelt, den zu erzeugen sich der amtierende Außenminister alle Mühe gibt, dabei aber kläglich scheitert. Ironie des Schicksals: allein dieses Thema eignet sich nicht für Ironie!

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Oaxaca, zwei Tage vor der Wahl

Zu Gast bei OIDHO

Am Montag in Oaxaca angekommen – vom Mord am Kandidaten in Tamaulipas erfahren, die TAZ und der Freitag berichten – sieht alles nach einem Werk der Zetas aus.

Hier gibt es kein fließendes Wasser, aber Internet! Dafür ist das Regenwasser angenehm eisig, wenn man es sich mit einem Plastikbehälter über den Kopf gießt. Die Palmen auf dem Grundstück und die Bäume vermitteln eine angenehme Kühle. Die Leute hier sind extrem freundlich, ich bin beeindruckt von dem was man in Gemeinschaftsarbeit auf die Beine stellen kann.

Das Haus hier ist eine Art Schule aus Beton gebaut, das obere Stockwerk hat einen wundervollen Blick auf die Berge Oaxacas zu bieten, im unteren wird man von Stechmücken und Spinnen geplagt. Nachmittags spielen die Kinder des Viertels auf dem überdachtem Basketballplatz vor dem Haus. Auf die Klos und Duschen muß man einen Eimer Wasser mitnehmen, was eine Art Campinggefühl aufkommen lässt. Die Straßen des Viertels hier haben keinen Asphalt, sind furchtbare Huckelpisten, ein deutscher Feldweg ist eine Landebahn dagegen.

Über solche Wege quälen sich lila weiße Taxis, mit fünf Personen besetzt, die nur als „Kollektiv“ den Taxifahrer bezahlen können, der gerade seine Stoßdämpfer in den Arsch reitet, aber nur so daß Nötigste auf den heimischen Esstisch zaubern kann, wenn er seinen Verdienst nicht vorher aus Frust irgendwo in einer Absteige versäuft.

Nachts geht man besser nicht auf die Suche nach einem Taccostand, die Gegend hier sieht alles andere als vertrauenserweckend aus. Überall lauern Straßenköter, es ist sehr dunkel, jeder sieht zu daß er so weit wie möglich in der Nähe seines Hauses abgesetzt wird. Der nächtliche Laufschritt und das Ausweichen vor jeglichem Passanten spricht für die nackte Angst aller Bewohner dieses Hügels, welche auch mich überkam als ich die wahnwitzige Idee hatte, Nachts ausserhalb zu essen. Aber man sagt, die zentrale Busstation, die Endstation der Kollektive, sei noch gefährlicher. Erst kürzlich wurden die Schwester meiner Führerin und eine Tochter einer hier wohnenden Frau an der Busstation überfallen und ausgeraubt. Die mit „Königlicher Weg“ bezeichnete „Straße“ auf dem Weg zur idyllisch friedlichen OIDHO-Raumstation am Ende der Zeit ist nur ein Beispiel mehr, jenes blanken Sarkasmus von Fortschritt und Glücksversprechen der PRI, angesichts dessen jeder Taxifahrer in Mexiko flucht, dessen Unterboden gerade über Schlaglöcher Steine schrammt.

Ursprung der „Jungfrau der Barrikaden“

Das Zentrum der Stadt war bis heute noch ein einziger Planton, das heißt überall wurden Plastikplanen aufgespannt, unter denen die Lehrer der Gewerkschaftssektion 22 schlafen. Diese befindet sich seit 2006 im Dauerstreik.

Eingang zur Gewerkschaftszentrale

Sie ist Teil der APPO (Freie Versammlung der Völker Oaxacas) und fordert den Rücktritt des Gouverneurs Ulises Ruiz, der das Vorgehen der Bundespolizei am 17. November des selben Jahres zu verantworten hat, bei dem 26 Tote auf Seiten der Protestler zu beklagen waren. Neben diesen Forderungen kam es aber gerade auch im Vorfeld zu den Gouverneurswahlen, die am Sonntag stattfinden sollen zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen, wie der Überfall auf eine Friedenskarawane vor drei Wochen, welche Lebensmittel und Lehrer in ein entlegenes Dorf (San Juan Copala) bringen wollte, welches von Paramilitärs bis heute besetzt gehalten wird und bei der zwei der Menschenrechtsaktivisten ums Leben kamen. Weitere Vorfälle wie die durch Schüsse verletzte Journalistin an der Universität vor zwei Wochen sind ein Teil davon.

Am Mittwoch dann die Erfolgsmeldung: alle Gefangenen von Atenco wurden im Wiederrufungsverfahren vom obersten Bundesgericht freigesprochen. Alle, auch der zu 146 Jahren Haft verurteilte Ignacio del Valle sind seit heute auf freiem Fuß und wurden von Komites vor dem Gefängniß im Empfang genommen. Das Raunen der Aktivisten und der seit nunmehr vier Jahren andauernde Kampf der Menschenrechtsorganisationen und Familien auf dem Zocalo, als die SMS die Runde machte, war also nicht umsont! Feststimmung!

Rückschläge

Heute dann die Hiobsbotschaft vor der Wahl am Sonntag: die Sektion 22 zieht sich zurück! Der Zocalo wird geräumt, die Lage ist angespannt. Die ambulanten Händler packen ihre Stände zusammen, man erwartet, dass sie sonst von der Polizei geräumt werden. Es gab einen Marsch der Gewerkschaft, an dem sich viele der hier in Oaxaca vertretenen Organisationen die Teil der APPO sind, nicht beteiligten. Die Abschlußreden waren reißerisch.

Als der Chef der Gewerkschaft auftrat und seinen strategischen Rückzug verkündete kam es zu Buhrufen und pfiffen. Seine Sicherheitskomites sperrten den Kiosk, Fotografen und Presse wurden jedoch heraufgelassen, vereinzelte Flaschenwürfe. Seine Anhänger auf dem Kiosk erhoben die Faust und stimmten die Hymne der Marxisten an, Flaschen wurden geworfen. Als er vom Kiosk herabstieg und in Richtung des Gewerkschaftsgebäudes geleitet wurde, kam Bewegung in die Menge und er mußte gemeinsam mit seinen Beschützern rennend den Zocalo verlassen.

Der Kampf geht weiter

Es sieht also alles danach aus, als wolle die PRI den Weg ebnen, um bei den Wahlen am Sonntag doch wieder einen Gewinn „herbeizuzaubern“ (Proceso berichtet in der Ausgabe von voriger Woche über die Methoden des Wahlbetruges und man kann bereits jetzt sagen, dass beträchtliche Mittel aus dem Haushalt des Bundeslandes in den Wahlkampf des PRI Nachfolgers von Ulizes Ruiz geflossen sind, mit dem er am Sonntag Stimmen „kaufen“ wird). Da die APPO als horizontale basisdemokratisch orientierte Bewegung jedoch nicht nur von der vertikal strukturierten Gewerkschaft der LehrerInnen, mit nach außen demonstriertem marxistisch leninistischem Einschlag, abhängig ist, sieht wohl alles nach einem länger andauerndem Kampf um Beteiligung und Teilhabe bis jetzt marginalisierter Bevölkerungsteile aus, der auch und gerade nach dem zu erwartendem Wahlsieg der PRI hier andauern wird.

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Veranstaltungshinweis, Politik und Käse

Anlässlich einer Veranstaltung an der ich als Übersetzer mitwirken möchte hier auch noch einen Informationstext zur aktuellen Lage und die Bedeutung politischer Konflikte in Mexiko. Der Text ist eine Übersetzung eines Artikels aus El País, die ich heute angefertigt habe. Der Artikel ist meiner Meinung nach ein sehr guter Kommentar zu den aktuellen Problemen der Politik in Mexiko. Ich teile die Meinung des Autoren nicht in jedem Sinne (zum Beispiel würde ich in Frage stellen dass jene Kampagne AMLO’s wirklich alle erreicht hat). Die grundlegende Analyse des offenen unbewältigten Konfliktes in Mexiko teile ich allerdings. Außerdem gehört der Käse aus Oaxaca zu meinen Lieblingsspeisen und ich mochte die Metapher sehr.

Nun möchte ich aber den Artikel für sich sprechen lassen.

[Für alle die „Oaxaca“ zum ersten mal lesen und etwas schwierig finden, es wird „Oachaka“ gesprochen, dann wird es einfacher…]

Raymundo Riva Palacio

Die politische Klasse Mexikos ist ein Knoten. Man weiß es, aber man tut nichts dafür ihn zu entwirren.

Im Bundesstaat Oaxaca gibt es eine spezielle Käsesorte, die den Namen des Bundeslandes trägt. Dieser Käse ist weiß, rund und wie ein Knoten geformt. Es ist vielleicht seltsam, aber so wie der Käse sind in etwa auch oaxacanischen Politiker: verwickelt und kompliziert. Genau um die Einwohner Oaxacas gibt es in den letzten Tagen in Mexiko eine große Debatte, die nicht nur mit diesen zu tun hat, die aber dadurch diesen verlogenen Beigeschmack bekommt. Es geht um eine Allianz zwischen der PAN, der Partei an der Macht, und anderen Parteien des linken Spektrums, weil es in den Wahlen im Juli um ganze zwöf Gouverneursposten gehen wird – das ist immerhin die Hälfte der nationalen politischen Gewalt – könnten zumindest fast die Hälfte davon sich zu einer Allianz zusammenschließen, um der PRI die Stirn zu bieten. Diese Allianzen haben ein politisches Trommelfeuer zwischen den einzelnen Parteien und in diesen selbst entfacht. Die Argumente sind immer dieselben: „Wie kann man eine Allianz schließen, wenn es der Ex-Kandidat der Linken, Andrés Manuel Lopez Obrador, nicht unterlässt, den amtierenden Präsidenten Felipe Calderón noch immer als „illegitim“ und „Strohpuppe“ zu bezeichnen?“.

Diese Anekdote, und mehr ist das schließlich auch nicht, hat dazu geführt, dass sowohl die Politiker als auch die Parteien Wahlallianzen aus unterschiedlichen Gründen ablehnen. Die PRIisten aus dem Grund, daß sie bei einem generellem Block gegen ihre Kandidaten in einigen der wichtigen Staaten diese Provinzen verlieren könnten. Die PANisten und die PRDisten zögern deshalb, weil sie der Dynamik ihres eingeschlossenen internen Auseinandersetzungen noch immer folgen. Aber die zur Schau gestellte Ablehnung der Allianzen haben keinen Sinn. Sie gehören bereits seit längerem zum Bühnenspiel mexikanischer Politik und sind laut der bundesstaatlichen Wahlgesetze für Oaxaca und auch in allen anderen 32 Bundesstaaten Mexikos erlaubt, welche die Abgeordneten aller Parteien selbst verabschiedet haben.

Die Intrige ist nicht, daß jetzt alle die „bastardische Natur“ einer solchen Allianz hervorkehren, extreme Stimmen nennen sie gar „undemokratisch“, sondern dass sich die öffentliche Meinung fesseln lässt von der Faszination an einer solchen politischen Pyrotechnik. Wenn es zwölf Governeursplätze gibt um die gerungen wird, für mindestens sechs davon eine Allianz von PAN und PRD im Gespräch war, warum ist es ausgerechnet der oaxacenische Gouverneur auf den rhetorisch geschossen wird?

Aus dem einfachen Grund, weil genau diesem eventuellen Kandidaten, dem Senator Gabino Cué, bedingungslos von Seiten López Obradors geholfen wurde. Beide betreiben über Monate hinweg eine Basiskampagne von Dorf zu Dorf bis in die marginalsten Gemeinden Oaxacas. Es gibt keine andere Allianz, in der die Beziehung zwischen dem Kandidaten und López Obrador so organisch und eng ist, wie in der Oaxacas, was den Kern der Debatte deutlich macht, der nicht diskutiert wird. Was noch immer ohne Lösung ist, das ist der Konflikt um die Wahlstreitigkeiten zur Präsidentschaftswahl von 2006, als Calderón die Wahl gewann und López Obrador um die 250.000 Stimmen verlor, die nie anerkannt wurden. Das ist das Problem im Hintergrund. Heute nennt man es Wahlallianzen, aber man könnte es auch anders nennen. Die Kategorisierung ist nur ein Vorwand für das echte ungelöste Problem der Auseinandersetzung um die Wahl, die Mexiko seit 2006 fest im Griff hat. Dieser Streit zieht sich auch durch den Wahlkalender hindurch, obwohl López Obrador weiterhin an Popularität verliert und seine Umfragewerte sinken, repräsentiert sein Wort doch noch immer das einer moralischen Autorität und eines politischen und sozialen Führers, dem ein bedeutender Teil der Mexikaner folgt, egal wohin und egal für was. López Obrador ist der einzige Politiker, dessen politisches Gewicht sich direkt in Stimmen messen lässt, wie er es in den Wahlen im letzten Sommer eindrucksvoll gezeigt hat, als sich die Zusammensetzung des Kongreßes erneuerte, und bei dem er aus Gründen der Uneinigkeit mit seiner Partei PRD eine Kampagne für die Partei der Arbeit (PT) fuhr. Die Verwirrung die López Obrador unter den linken Wählern stiftete war eine schmerzende Teilung für die PRD. Deren Stimmen fielen noch unter das Niveau von 1997 und sie wurden als dritte Kraft im Abgeordnetenhaus abgelöst. In zehn Wahlbezirken wurden sie sogar nur viertstärkste Kraft hinter den mexikanischen Grünen (Partido Verde), die eine Allianz mit der PRI eingegangen war. Sie verloren die meisten ihrer vorherigen Bastionen im Bundesland Mexiko City an die PRI und mußten zusehen wie sie mehr als fünfzig Prozent ihrer Kräfte in der Hauptstadt gegenüber der PAN einbüßten. Die Arbeiterpartei (PT) hingegen, die vorher immer Mühe hatte wenigstens zwei Prozent der Stimmen zu erreichen um gezählt zu werden, wurde auf sechs Prozent katapultiert und konnte die Mandate für Iztapalapa erobern, einer der sechzehn Wahlkreise in welche die Hauptstadt aufgeteilt ist. Dieser hat ungefähr zwei Millionen Einwohner und einen Jahresetat von ungefähr 3500 Millionen mexikanischer Pesos (269 Millionen Dollar).

Die Verwirrung die López Obrador also unter der gewählten Linken ausgelöst hat, führte also zu einer Teilung, deren Kosten immens waren. Dieses ganz spezielle politische Gewicht macht Obrador zu einem vorsichtigen Gegner. Aber er ist ein komplexer und schwieriger Rivale. Komplex weil seine fundamentalistische Natur ihm jede Form von Pragmatismus verbietet. Schwierig weil seine Welt nur Schwarz und Weiß kennt. Es ist ein Politiker der seine Kraft aus der sozialen Agitation gewinnt und den Protest bishin zu den Grenzen der Legalität treibt, immer darauf bedacht nicht das Gesetz zu verletzen. Seine Charakteristiken führten bisher immer zur Polarisierung, wie zum Beispiel in Tabasco, ein Staat im Südosten des Landes wo er um das Gouverneursamt kämpfte. Er hat das Ergebnis der Ablehnung nie akzeptiert und bereits seit mehr als einem Jahrzehnt den Protest injeziert, der diese Gemeinschaft spaltet. 2006 gelang ihm etwas ähnliches auf nationalem Niveau, als er eine politische Revolte anführte, die das Land bis heute spaltet. Man kann ihm aber diese Polarisierung die seit 2006 anhält nicht allein vorwerfen. Der damalige Präsident Vicente Fox hatte eine Kampagne losgetreten, die gerade gegen López Obrador gerichtet war und mit dem er ihn für eine kleine administrative Verfehlung als Governeur von Mexiko City ins Gefängniß werfen wollte. Das war auch nicht viel mehr als die negative Kampagne des Kandidaten Calderón, der sie nach dem rhethorischen Dreh gebaut hatte: „Lopez Obrador ist eine Gefahr für Mexiko!“. Die Gesellschaft Mexikos war bereits infiziert von jener politischen Klasse, die sich nur noch nach der aktuellen Konjunktur und nicht nach dem Morgen richtet. Die kürzlich entfachte Debatte um die Allianzen hat genau dies alles zu Grunde liegen. Der Konflikt von 2006 bleibt ohne Lösung, so vermitteln es jedenfalls die kommunizierenden Röhren die zur mexikanischen Politik gehören und einige verkümmerte Leitungskanäle zur Voraussetzung haben. Der unordentliche politische Zustand schadet Calderón und nützt López Obrador, der den Konflikt so drigend braucht wie der an Lungenentzündung Erkrankte seinen Sauerstofftank um zu überleben. Calderón hat Eile ein Stützgerüst zu bauen um zu zeigen, daß sein Vorpreschen in die Regierung die Mühe wert war. López Obrador hat alle Zeit der Welt, um sein Projekt zu konstruieren. Bei den politischen Erschütterungen die man heute in Mexiko lebt kann alles passieren, weil die Ungewißheit über irgendeine institutionelle Übereinkunft groß ist. Es kann keine wirklichen verändernden politischen Reformen geben, weil es dieser Konflikt verhindert. Es kann auch keine Neuordnung geben, auf die alle so drängen weil ein signifikanter Teil der Gesellschaft diese boykottieren würde. Es gibt auch keine Kompromiße die man auf lange Sicht schließen könnte, weil die menschlichen Faktoren die nun einmal interagieren immer 2006 als Basis der Verhandlung und des Mißgunstes haben. Die Wahlallianzen zeigen nur die wahre Größe des ganzen Problems im Hintergrund, zu dessen endgültiger Lösung die Politik bis jetzt nichts beitragen wollte. Ohne Zweifel kann man proklamieren, daß heutzutage die politische Klasse Mexikos oaxacenisch ist: verwickelt und verworren. Man weiß es, aber man tut nichts um sie zu entwirren und es scheint auch niemanden zu interessieren.

Raymundo Riva Palacio ist der Chef des Netzwerkes http://www.ejecentral.com.mx/

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